Veröffentlichung KWMBl. 2012/20 S. 301 vom 20.09.2012

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Az.: III.8-5 L 0142.F2-5b.95 438
2230.1.2-UK
2230.1.2-UK
50 Jahre Deutsch-Französischer Vertrag
Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums
für Unterricht und Kultus
vom 20. September 2012  Az.: III.8-5 L 0142.F2-5b.95 438
 
Präambel
Die Gestaltung der deutsch-französischen Beziehungen ist für die konstruktive und vertrauensvolle Weiterentwicklung der europäischen Integration insgesamt von großer Bedeutung.
Am 22. Januar 2013 jährt sich zum 50. Mal die Unterzeichnung des Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrages in Paris. Dieses Datum markiert eine ebenso politisch dauerhaft bedeutsame wie symbolhafte Zäsur in der Gestaltung der deutsch-französischen Beziehungen. Mit Blick auf deren historische Gesamtentwicklung, auf die Vielfalt der heutigen deutsch-französischen Beziehungen und Interaktionen und auf die derzeitigen Herausforderungen an die europäische Integration sollte dieses Datum eine besondere Würdigung im Schulunterricht finden, über die hier an erster Stelle angesprochenen Fächer Geschichte und Französisch hinaus.
1.
Geschichtliche Entwicklung
Die historische Bilanzierung wird heute, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges und nach der Wiedervereinigung Deutschlands in der Mitte Europas, mit Blick auf die Gesamtheit der deutsch-französischen Beziehungen von drei Grundfaktoren auszugehen haben:
Von einer Vielfalt kultureller Begegnungen und Befruchtungen, die zumeist von Frankreich aus ihren Weg nach Deutschland nahmen, beginnend mit Epik und Gotik im Mittelalter, über französische Dramatik, Sprache und Lebenskultur in der Zeit des Absolutismus insofern bietet sich auch eine Anknüpfung an das 300. Geburtsjahr Friedrichs des Großen 2012 an bis hin zur existentialistischen Philosophie und Literatur nach dem 2. Weltkrieg. Letztere leistete einen beachtlichen Beitrag zur „Verwestlichung“ der kulturellen Milieus zunächst im Westdeutschland der frühen Nachkriegszeit.
Der zweite Komplex bezeichnet die sogenannte „deutsch-französische Erbfeindschaft“. Sie war noch mehr für imaginierte Geschichtsbilder als für reale historische Prozesse beiderseits des Rheins förmlich konstitutiv geworden und erreichte ihren Höhepunkt im frühen 20. Jahrhundert. Diese „Erbfeindschaft“ trug in vielfacher deutscher Abgrenzung gegenüber den Bildern von französischer Politik nicht unwesentlich zur Herausbildung auch prekärer nationaler deutscher Identität bei. Symbolhafter Höhepunkt dieser in hohem Maße antifranzösischen deutschen Nationsbildung war die Proklamierung des Kaiserreiches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles. Für die Folgejahrzehnte bis zum 2. Weltkrieg muss man davon ausgehen, dass die durchaus gegebenen Ansätze zu deutsch-französischen Verbindungen, durch Kommunikation wie Kooperation, ob in Malerei, Literatur, Philosophie, aber auch in der Wirtschaft, im Ergebnis doch Chauvinismus und konfrontativem Denken unterlagen.
Der Aufbau intensiver deutsch-französischer Kooperation erschien nach dem 2. Weltkrieg und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, als wesentliche Voraussetzung für die Gestaltung eines innerlich gefestigten westlichen Staatensystems. Demgegenüber traten in der Nachkriegszeit die Rolle von Nation und Nationalstaat zurück.
Für die Gegenwart ist insbesondere auf die Wirkung der „Globalisierung“ seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts hinzuweisen. Sie droht das Gewicht Europas und darunter auch das seiner größeren Staaten zu marginalisieren und sie macht es unabweisbar, dass die innereuropäischen Kooperationsmuster, darunter mit an erster Stelle das deutsch-französische Verhältnis, weiter verdichtet werden.
2.
Der deutsch-französische Vertrag als Erbe und Auftrag
Vor dem hier skizzierten Hintergrund gewinnt der deutsch-französische Vertrag vom 22. Januar 1963 seine besondere und herausgehobene Bedeutung. Er erscheint als politisch wesentlicher wie symbolhafter Meilenstein auf dem Weg zur Beendigung der für Europa so desaströsen sogenannten „deutsch-französischen Erbfeindschaft“ durch die staatsmännischen Kapazitäten von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer. Und er weist zugleich den Weg für die weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit der leitenden Staatsmänner auf beiden Seiten, ob insbesondere Präsident Valéry Giscard d’Estaing und Bundeskanzler Helmut Schmidt in den späten siebziger Jahren, Präsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl in den achtziger und frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts.
Bereits seit Beginn der fünfziger Jahre zeigte sich eine neue, verdichtete Form deutsch-französischer Kooperation, für die in diesen Anfängen an erster Stelle der französische Außenminister Robert Schuman und Bundeskanzler Adenauer standen. Entscheidende Weichen wurden bereits in dieser Phase durch die „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS, sog. Montanunion) gestellt.
So vielgestaltig sich heute deutsch-französische Beziehungen präsentieren, so vielgestaltig sind die Möglichkeiten ihrer schulischen Bearbeitung und Präsentation, nicht nur auf der historischen, kulturellen und ökonomischen „Makro“-Ebene, sondern gerade auch im Bezug auf geschichtliche Spuren wie heutige Elemente französischer Präsenz vor Ort, darunter in erster Linie auf der Ebene von Schul-, Vereins- und Kommunalpartnerschaften. Gerade in Bayern mit seinem besonderen Verhältnis zu Frankreich finden sich hierzu vielerlei Anknüpfungspunkte. Für Ideen und Anregungen wird auf das Angebot unter www.fplusd.org verwiesen.
Es wird nachhaltig empfohlen, ausgehend vom konkreten zeitgeschichtlichen Anlass, nämlich der Unterzeichnung des deutsch-französischen Vertrages am 22. Januar 1963 in Paris, im Schuljahr 2012/2013 der Vielfalt deutsch-französischer Begegnungen herausgehobene Aufmerksamkeit zu schenken, insbesondere durch spezifische deutsch-französische Projekte.
3.
Inkrafttreten
Diese Bekanntmachung tritt mit Wirkung vom 1. Oktober 2012 in Kraft.
 
Elfriede Ohrnberger
Ministerialdirigentin