Veröffentlichung BayMBl. 2023 Nr. 518 vom 25.10.2023

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Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales

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Verwaltungsvorschrift

2179-A
  • Verwaltung
  • Sozialhilfe und Wohlfahrtswesen
  • Sonstige soziale Hilfen

2179-A

Empfehlungen für das Obdach- und Wohnungslosenwesen

Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien für Familie, Arbeit und Soziales,
des Innern, für Sport und Integration, für Wohnen, Bau und Verkehr sowie für Gesundheit und Pflege

vom 2. Oktober 2023, Az. II1/6457.03-1/22

Die Bayerischen Staatsministerien für Familie, Arbeit und Soziales, des Innern, für Sport und Integration, für Wohnen, Bau und Verkehr sowie für Gesundheit und Pflege empfehlen bei Fragen des Obdach- und Wohnungslosenwesens wie folgt zu verfahren:

1.Allgemeines

1Die Empfehlungen befassen sich mit der Prävention von Obdach- und Wohnungslosigkeit, der Unterbringung von obdach- und wohnungslosen Personen und deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft. 2Dabei ist die Vermeidung von Obdach- und Wohnungslosigkeit durch vorbeugende Maßnahmen das primäre Ziel. 3Die Empfehlungen sollen den zuständigen Sozial-, Gesundheits- und Sicherheitsbehörden sowie Wohnungsämtern als Orientierungshilfe dienen.

4Für den Personenkreis der nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) Leistungsberechtigten gelten die Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) und das Aufnahmegesetz (AufnG) sowie die hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften und Hinweise. 5Soweit danach ein staatlicher Unterbringungsanspruch besteht, sind Betroffene im Rechtssinne nicht als obdachlos anzusehen. 6Gleiches gilt für Personen, die anerkannt sind beziehungsweise über eine Aufenthaltserlaubnis verfügen und als sogenannte Fehlbeleger in Asylunterkünften geduldet werden oder als legale Migranten in Einrichtungen der vorläufigen Unterbringung aufgenommen wurden.

2.Begriffsbestimmung

1Im gesellschaftlichen Sprachgebrauch werden die Begriffe „Obdachlosigkeit“ und „Wohnungslosigkeit“ zum Teil synonym verwendet, die Begrifflichkeiten sind jedoch weder tatsächlich noch rechtlich gleichbedeutend.

2Obdachlos im (ordnungsrechtlichen) Sinne dieser Empfehlungen ist, wer nicht über eine Unterkunft verfügt, die Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet, Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt und insgesamt den Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung entspricht.

3Wohnungslos im Sinne dieser Empfehlungen ist, wer nicht über mietvertraglich abgesicherten Wohnraum oder entsprechendes Wohneigentum verfügt oder gegebenenfalls nur institutionell untergebracht ist. 4Unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht ist, wem der Verlust seiner derzeitigen Wohnung unmittelbar bevorsteht wegen Kündigung der Vermieterin beziehungsweise des Vermieters, einer Räumungsklage (auch mit nicht vollstrecktem Räumungstitel), einer Zwangsräumung oder aus sonstigen zwingenden Gründen.

5In allen Fällen ist zusätzlich erforderlich, dass die betreffende Person nicht in der Lage ist, für sich sowie gegebenenfalls ihren Ehegatten beziehungsweise ihre Ehegattin und ihre nach § 1602 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) unterhaltsberechtigten Angehörigen, mit denen sie gewöhnlich zusammenlebt, in zumutbarer Weise aus eigenen Kräften eine Unterkunft zu beschaffen.

6Obdach- beziehungsweise wohnungslos im Sinne dieser Empfehlungen ist nicht, wer sich als Minderjähriger dem Bestimmungskreis des Personensorgeberechtigten entzogen hat und durch das Jugendamt aufgrund einer dringenden Gefahr für sein Wohl nach § 42 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in Obhut genommen und bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig untergebracht worden ist (zur Kinder- und Jugendhilfe siehe Nr. 3.10).

3.Prävention und Hilfemaßnahmen

3.1Allgemeine Grundsätze

3.1.1Zielsetzung und Abgrenzung zum allgemeinen Sicherheitsrecht

1Oberstes Ziel aller vorbeugenden sozialen Hilfemaßnahmen und jeder Betreuung ist die Vermeidung von Obdach- und Wohnungslosigkeit, um auf Dauer den Verbleib oder die Unterbringung in einer Normalwohnung zu erreichen. 2Diese ist auch wichtige Zielsetzung für eine soziale Wiedereingliederung, sofern der Eintritt von Obdach- und Wohnungslosigkeit trotz präventiver Maßnahmen nicht verhindert werden konnte.

3Obdach- und Wohnungslosigkeit ist daher in erster Linie mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus sowie des Sozialrechts, das vielfältige soziale Hilfen gewährt, zu begegnen. 4Langfristig kann auch die Bauleitplanung zur Vermeidung von Obdach- und Wohnungslosigkeit beitragen. 5Das Sicherheitsrecht ist dagegen als Eingriffsrecht und nicht als Leistungsrecht ausgestaltet, weshalb geeignete Hilfen hier nicht zur Verfügung stehen. 6Die sicherheitsrechtliche Notunterbringung kann daher nur eine vorübergehende Lösung zur unmittelbaren Gefahrenabwehr darstellen, erfordert jedoch weder die Unterbringung in einer Normalwohnung, noch beendet sie die Wohnungslosigkeit (vgl. zum Sicherheitsrecht Nr. 4). 7Die genannte Zielsetzung setzt daher eine begleitende Beratung und Betreuung der betreffenden Personen durch die Sozialbehörden voraus. 8Ziel dieser Hilfen ist es, dass die betreffenden Personen wieder unabhängig von Sozialleistungen leben können. 9Dazu gehört vor allem, dass Wohnungsverlust vermieden wird beziehungsweise dass den Obdach- und Wohnungslosen geholfen wird, in eine normale Wohnung zurückzukehren.

10Drohende Obdach- und Wohnungslosigkeit sowie die Wiedereingliederung hiervon betroffener Personen in Normalwohnungen erfordern daher eine intensive Sozialarbeit. 11Eine enge Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Sozialbehörden und den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege ist dazu unerlässlich. 12Auf die Erforderlichkeit und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit unter Nr. 3.2 dieser Empfehlungen wird hingewiesen. 13Unter Berücksichtigung der besonderen Situation sind die Möglichkeiten des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II), des SGB VIII, des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) voll auszuschöpfen. 14Dies gilt insbesondere für vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung von Obdach- und Wohnungslosigkeit.

3.1.2Soziale Hilfemaßnahmen

1Der Ermittlung und Feststellung des Hilfebedarfs kommt eine besondere Bedeutung zu, da sich Art, Form und Maß der Hilfeleistung bei Obdach- und Wohnungslosigkeit nach den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls richten. 2Die betroffenen Stellen, insbesondere auch die Sozialhilfeträger, sollen im Zusammenwirken die individuellen Umstände und Ursachen der Notlage klären. 3Dabei erschöpfen sich die persönlichen Hilfen nicht in Beratung und Aufklärung. 4Sie erfordern vielmehr tätige Sozialarbeit, die praktische Hilfe und organisatorische Unterstützung, also eine situationsangemessene Betreuung, leistet. 5Auf die Mitteilungspflichten (Art. 84 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze – AGSG) und Mitwirkungspflichten (Art. 83 Abs. 1 AGSG) der kreisangehörigen Gemeinden wird hingewiesen.

6Die nachfolgenden Leistungen des SGB II und SGB XII umfassen grundsätzlich keine Wohnraumvermittlung, aber eine Beratung des Leistungsberechtigten mit dem Ziel, ihn zur Selbsthilfe zu befähigen. 7In besonderen Einzelfällen ist im Rahmen der Sozialhilfe auch die Beschaffung einer Unterkunft möglich (vgl. dazu Nr. 3.4).

8Die Zuständigkeit für Leistungen wie Beratung, Betreuung sowie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts liegt beim zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) beziehungsweise beim zuständigen örtlichen Sozialhilfeträger (SGB XII). 9Die Zuständigkeit für die Leistungen der Eingliederungshilfe (SGB IX) für Menschen mit Behinderung und die stationären und teilstationären Leistungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (SGB XII) liegt im Aufgabenbereich des Trägers der Eingliederungshilfe beziehungsweise der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (Bezirke). 10Die Zuständigkeit für ambulante Leistungen der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten liegt im Aufgabenbereich der örtlichen Träger der Sozialhilfe (Landkreise, kreisfreie Städte). 11Bei Zweifeln über die Zuständigkeit empfiehlt sich eine Nachfrage beim zuständigen Landratsamt beziehungsweise Kreisverwaltungsreferat der kreisfreien Stadt.

12Für erwerbsfähige Wohnungs- und Obdachlose kommen vorrangig auch Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach §§ 16 ff. SGB II und Leistungen zur Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) (hier insbesondere auch besondere Leistungen nach §§ 117 ff. SGB III) in Betracht.

13Sofern die obdach- beziehungsweise wohnungslose Person Sozialleistungen beantragt oder erhält, obliegen ihr zumutbare Mitwirkungspflichten, die sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls richten. 14Kommt die Person den zumutbaren Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht innerhalb einer gesetzten angemessenen Frist nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, können die Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagt oder entzogen werden (§ 66 SGB I). 15Hierauf ist die Person vorher schriftlich hinzuweisen (§ 66 Abs. 3 SGB I).

3.2Zusammenarbeit vor Ort

1Auf der kommunalen Ebene hängt der Erfolg in der Prävention und Bekämpfung von Obdach- und Wohnungslosigkeit von einer gelingenden Netzwerk- und Kooperationsarbeit ab. 2Es wird daher empfohlen, abhängig von der örtlichen Bedarfslage, die Zusammenarbeit der Akteure auf Grundlage eines gemeinsam getragenen örtlichen Programms zur Prävention von Obdach- und Wohnungslosigkeit mit klar formulierten Zielsetzungen, Maßnahmen und Verantwortlichen niederzulegen.

3Bei der Erarbeitung einer Gesamtkonzeption zur Lösung von Problemen im Zusammenhang mit Obdach- und Wohnungslosigkeit empfiehlt sich grundsätzlich ein Zusammenwirken folgender Stellen: Sozialhilfeverwaltung, Jobcenter, Jugendamt, Wohnungsamt, Wohnungswirtschaft, untere Gesundheitsbehörde (Gesundheitsamt), örtliche Sicherheitsbehörde (Gemeinde), Gleichstellungsbeauftragte, Wohlfahrtsverbände und sonstige Organisationen, die sich der Betreuung von Obdach- und Wohnungslosen widmen. 4Die Koordination Wohnungslosenhilfe Nord- und Südbayern steht bei Bedarf beratend zur Verfügung.

5Dabei kann für kreisfreie Städte das Konzept einer kommunalen Fachstelle zur Vermeidung von Obdach- und Wohnungslosigkeit die organisatorische Grundlage für eine präventive Ausrichtung der Hilfen in Wohnungsnotfällen darstellen (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Prävention von Wohnungslosigkeit durch Kooperation von kommunalen und freien Trägern, DV 17/13 AF III sowie Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern – LAG Ö/F –, Rahmenkonzept „Hilfe für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in Bayern“, Juni 2009). 6Ihr Leitgedanke ist es, in Fällen der Rechtsträgeridentität (kreisfreie Städte), Teilkompetenzen aus dem ordnungsrechtlichen, sozialrechtlichen und dem wohnungsmarktlichen Bereich, die für die Bearbeitung von Wohnungsnotfällen erforderlich sind und ansonsten über verschiedene Ressorts in der Kommunalverwaltung verteilt sind, in einer Organisationseinheit (Fachstelle) zusammenzuführen. 7Aufgabe der Fachstelle ist insbesondere die Beratung zur Vermeidung von Wohnungsverlust und Bekämpfung bestehender Wohnungslosigkeit.

8Eine Kooperation mit einer Fachstelle empfiehlt sich insbesondere auf folgenden Gebieten:

  • Übernahme von Mietrückständen und gegebenenfalls Veranlassung weiterer sozialrechtlicher Hilfemaßnahmen;
  • sicherheitsrechtliche Obdachlosenunterbringung;
  • Kooperation mit der Wohnungswirtschaft und den spezialisierten Hilfeangeboten bei freien Trägern und
  • Öffentlichkeitsarbeit bei Mietenden und Vermietenden über mögliche Hilfeangebote.

9Im Hinblick auf den Sozialdatenschutz wird empfohlen, eine Einwilligung der beziehungsweise des Betroffenen einzuholen.

10Nach § 68 Abs. 3 SGB XII sollen die Sozialhilfeträger im Rahmen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten mit Vereinigungen, die sich die gleichen Aufgaben zum Ziel gesetzt haben (insbesondere den Verbänden der Freien Wohlfahrt), sowie mit sonst beteiligten Stellen zusammenarbeiten. 11§ 18 SGB II normiert, dass die zuständigen Träger der SGB II-Leistungen im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse mit den Gemeinden, Kreisen und Bezirken sowie den weiteren Beteiligten des örtlichen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes zusammenarbeiten.

3.3Übernahme von Mietschulden und Sonstiges

1Eine wichtige sozialrechtliche Maßnahme zur Vermeidung von Obdach- und Wohnungslosigkeit ist die Möglichkeit der Übernahme von Mietschulden durch den Sozialhilfeträger oder das Jobcenter, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (vgl. § 36 Abs. 1 SGB XII, § 22 Abs. 8 SGB II). 2Bei Wohnraummietverhältnissen liegt eine Gefährdung der bisher bewohnten Unterkunft bereits vor formellen mietrechtlichen Schritten wie einer Mahnung, der Kündigung und/oder der Räumungsklage vor. 3Nach den Regelungen des SGB II und SGB XII sind die Amtsgerichte entsprechend verpflichtet, die örtlich zuständigen Träger nach dem SGB II (Jobcenter) und SGB XII (Sozialhilfeträger) oder die von ihnen beauftragte Stelle nach Eingang einer Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 569 Abs. 3 BGB unverzüglich zu informieren (§ 22 Abs. 9 SGB II, § 36 Abs. 2 SGB XII). 4Bei Eingang einer Mitteilung oder wenn sie auf andere Weise von den Mietschulden erfährt (zum Beispiel durch Mitteilung der beziehungsweise des Leistungsberechtigten), muss die zuständige Stelle – unter Mitwirkung der beziehungsweise des Betroffenen – prüfen, ob die fristlose Kündigung durch eine Mietschuldenübernahme abgewendet werden kann.

5Beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 543 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 569 Abs. 3 BGB kann ein Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs zwar fristlos gekündigt werden, die Kündigung wird aber unter anderem dann unwirksam, wenn bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Räumungsklage die Vermieterin beziehungsweise der Vermieter befriedigt wird oder eine öffentliche Stelle sich ihr beziehungsweise ihm gegenüber bindend zur Befriedigung verpflichtet (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB). 6Rechtshängigkeit liegt vor, wenn die Klageschrift der beziehungsweise dem Beklagten zugestellt ist.

7Ein innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB erfolgter Ausgleich des Mietrückstands beziehungsweise eine entsprechende Verpflichtung einer öffentlichen Stelle hat lediglich Folgen für die auf § 543 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 BGB gestützte außerordentliche fristlose, nicht jedoch für eine aufgrund desselben Mietrückstands hilfsweise auf § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB gestützte ordentliche Kündigung. 8Bei einer gleichzeitig ausgesprochenen ordentlichen Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB ist es unverzichtbar, mit der Vermieterin beziehungswiese dem Vermieter eine Vereinbarung zur Rücknahme der ordentlichen Kündigung zu schließen.

9Mietschulden sollen nur übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Obdach- oder Wohnungslosigkeit droht. 10Die Leistung ist notwendig, wenn ohne sie die Obdach- oder Wohnungslosigkeit nicht verhindert werden kann. 11Bei der wiederholten Übernahme von Mietschulden oder bei einer wiederholten Kündigung ist die Notwendigkeit nicht gegeben, wenn auch in Zukunft mit einer weiteren Übernahme von Mietschulden oder einer erneuten Kündigung zu rechnen ist. 12Die Sicherung der Unterkunft kann damit nicht mehr erreicht werden. 13Kann durch Zahlung der Mietschulden durch den Sozialhilfeträger oder das Jobcenter zwar die fristlose, nicht aber die erfolgte ordentliche Kündigung abgewendet werden, so ist eine Mietschuldenübernahme ausgeschlossen.

14Die Übernahme von Mietschulden soll im Rahmen des SGB II als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II). 15Im Rahmen des SGB XII sind diese Geldleistungen entweder als Beihilfe oder als Darlehen (§ 36 Abs. 1 Satz 3 SGB XII) möglich. 16Erforderlichenfalls kann die Miete direkt an die Vermieterin beziehungsweise den Vermieter oder an andere Empfangsberechtigte gezahlt werden (§ 22 Abs. 7 SGB II, § 35a Abs. 3 SGB XII).

17Nach Maßgabe des § 22 Abs. 6 SGB II und des § 35a Abs. 2 Satz 5 SGB XII besteht auch die Möglichkeit, Kosten zur Beschaffung einer Wohnung, eines Umzugs oder einer Mietkaution anzuerkennen. 18Voraussetzung ist jedoch die vorherige Zustimmung des Leistungsträgers.

3.4Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach dem SGB XII

1Die Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (Achtes Kapitel des SGB XII) richten sich an Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind. 2Hierzu zählen insbesondere Obdach- und Wohnungslosigkeit und in Verbindung damit weitere existenzielle Problemlagen.

3Mit der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII wird im Rahmen der Sozialhilfe eine Leistung zur Überwindung einer sozialen Notlage bereitgestellt, die über die sozialhilferechtlich abgedeckten allgemeinen Risiken des Lebens wie Einkommensarmut, Krankheit etc. hinausgeht. 4Die Sozialhilfeträger können hier vielfältige Unterstützung leisten. 5Diese reichen von der persönlichen Unterstützung und erforderlichen Beratung bei der Beschaffung oder in besonderen Einzelfällen auch dem Verschaffen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. November 2019, Az. 1 S 2192/19) einer Wohnung oder betreuten Wohnens, teilstationären Hilfen und bis hin zur Unterbringung in stationären Einrichtungen. 6Besondere Bedeutung kommt dabei der aufsuchenden Beratung in Notunterkünften zu. 7Der Leistungsumfang ergibt sich aus der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten.

8Da die Notlage zur sozialen Ausgrenzung führen kann, kommt der zügigen Gewährung dieser Hilfen eine besondere Bedeutung zu. 9Maßnahmen können hierbei Dienst-, Geld- und Sachleistungen sein, die notwendig sind, um die besonderen sozialen Schwierigkeiten nachhaltig abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. 10Vorrangig sind als Hilfe zur Selbsthilfe vor allem Leistungen der Beratung und persönlichen Unterstützung für die Hilfesuchenden und ihre Angehörigen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung zu erbringen.

11Zur Beratung und persönlichen Unterstützung gehört vor allem, den Hilfebedarf zu ermitteln, die Ursachen der besonderen Lebensumstände sowie der sozialen Schwierigkeiten festzustellen und diese den Hilfesuchenden bewusst zu machen. 12Des Weiteren sollen Hilfesuchende über in Betracht kommende Maßnahmen und geeignete Hilfeangebote und Hilfeorganisationen informiert werden. 13Diese sollen, soweit erforderlich, vermittelt werden. 14Auf Leistungen anderer Stellen oder nach anderen Vorschriften des SGB XII ist hinzuwirken.

15In Fällen, in denen verschiedene Maßnahmen entweder parallel zueinander und/oder zeitlich nacheinander zu ergreifen sind und dies ein planvolles, abgestimmtes Verhalten mehrerer Stellen über einen längeren Zeitplan erfordert, ist in geeigneten Fällen ein Gesamtplan zu erstellen (§ 68 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit § 2 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten).

16Soweit der Bedarf durch Leistungen nach anderen Vorschriften des SGB XII – nach § 35a Abs. 2 Satz 5 SGB XII können auch Wohnungsbeschaffungskosten übernommen werden (in Ausnahmefällen zum Beispiel auch Maklergebühren) – sowie des SGB VIII und des SGB IX tatsächlich gedeckt wird, sind die Hilfen nach § 67 SGB XII nachrangig.

17Zur weiteren Erläuterung wird sowohl auf die Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten als auch auf die Gemeinsame Richtlinie der bayerischen Bezirke zum Vollzug der Hilfe nach §§ 67–69 SGB XII sowie zum Vollzug der Bayreuther Vereinbarung verwiesen (Bayerische Sozialhilferichtlinien, Richtlinien zu §§ 67–69 SGB XII, Anhang 24).

3.5Sozialleistungen nach dem SGB II beziehungsweise SGB XII zur Sicherung des Lebensunterhalts

3.5.1Leistungen nach dem SGB II

1Erwerbsfähige Personen haben bei Hilfebedürftigkeit Anspruch auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 ff. SGB II), insbesondere auf kommunale Eingliederungsleistungen (§ 16a SGB II) sowie auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 ff. SGB II).

2Landkreise und kreisfreie Städte können als insoweit zuständige Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 AGSG) für erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Rahmen der kommunalen Eingliederungsleistungen Hilfe nach § 16a Nr. 3 SGB II in Form von psychosozialer Betreuung erbringen, wenn dies für die Eingliederung in das Erwerbsleben erforderlich ist.

3Allgemeine Hinweise zum Vollzug des SGB II finden sich auch in den auf den Seiten des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) eingestellten Vollzugshinweisen (AMS) zum SGB II (vgl. https://www.stmas.bayern.de/grundsicherung/jobcenter/index.php).

3.5.2Leistungsberechtigung nach dem SGB XII

1Nicht erwerbsfähige Personen und mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebende nicht erwerbsfähige Angehörige haben bei Bedürftigkeit Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII). 2Als nicht erwerbsfähig gelten Personen, die wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II).

3Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung haben bei Bedürftigkeit Personen ab dem Erreichen der Altersgrenze (wird schrittweise vom 65. Lebensjahr auf das 67. Lebensjahr erhöht) und Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind (§ 41 SGB XII).

4Diese Leistungen können neben den Leistungen nach dem Achten Kapitel des SGB XII (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) erbracht werden.

3.5.3Leistungen im Zusammenhang mit den Kosten einer Unterkunft im SGB II/SGB XII

1Zu den Leistungen im SGB II/SGB XII gehört auch die Übernahme von Mietschulden, weil sie die drohende Obdach- beziehungsweise Wohnungslosigkeit im Anfangsstadium (bei drohender Kündigung und Räumung wegen Mietschulden) verhindern kann.

2Die Leistungen zum Lebensunterhalt umfassen im SGB II/SGB XII neben der Regelleistung/dem Regelsatz auch die angemessenen tatsächlichen Unterkunftskosten (gegebenenfalls auch Übernachtungskosten in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe) sowie die angemessenen tatsächlichen Heizkosten.

3Daneben sind auch Leistungen zur Deckung von einmaligen Bedarfen, insbesondere zur Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten, möglich (§ 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II, § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII).

4Nach Maßgabe des § 22 Abs. 6 SGB II beziehungsweise des § 35a Abs. 2 Satz 5 SGB XII besteht auch die Möglichkeit, Kosten zur Beschaffung einer Wohnung, eines Umzugs oder einer Mietkaution anzuerkennen. 5Voraussetzung ist jedoch die vorherige Zustimmung des Leistungsträgers.

3.6Sozialleistungen nach dem SGB II beziehungsweise SGB XII zur Sicherung des Lebensunterhalts

1Für Menschen mit Behinderung beziehungsweise Menschen, die von einer Behinderung bedroht sind, (§ 2 Abs. 1 SGB IX) können Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX in Betracht kommen, um eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen und eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern (§ 90 Abs. 1 SGB IX). 2Zu den Leistungen zählen:

  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation;
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (dies beinhaltet Leistungen zur Beschäftigung, zum Beispiel Leistungen im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für Menschen mit Behinderung);
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung (zum Beispiel Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung oder zur schulischen oder hochschulischen Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf);
  • Leistungen zur Sozialen Teilhabe. Hierzu gehören unter anderem die Versorgung mit nicht medizinischen Hilfsmitteln, Leistungen zur Förderung der Verständigung (zum Beispiel Übernahme der Kosten für eine Gebärdensprachdolmetscherin / einen Gebärdensprachdolmetscher), Leistungen für Wohnraum (zum Beispiel Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung von Wohnraum, der den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung entspricht), Assistenzleistungen (zum Beispiel Leistungen für die allgemeine Erledigung des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen) und heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht zur Schule gehen.

3Zuständig sind die Bezirke (Art. 66d AGSG). 4Es empfiehlt sich eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit den Bezirken sowie eine frühzeitige formlose Antragstellung (§ 108 SGB IX).

5Ein weiteres Beratungs- und Unterstützungsangebot bieten die Dienste der Offenen Behindertenarbeit (OBA) (vgl. https://www.stmas.bayern.de/inklusives-leben/offene-behindertenarbeit/index.php).

6Für Menschen, die mit psychischen Problemen oder seelischen Notsituationen konfrontiert sind, deren Angehörige und das soziale Umfeld bieten die Sozialpsychiatrischen Dienste in Bayern (SpDi) in Trägerschaft der Verbände der freien Wohlfahrtspflege niedrigschwellig gezielte Beratung an (vgl. https://www.sozialpsychiatrischedienste-bayern.de).

7Als Soforthilfe in psychischen Notlagen steht der regional zuständige Krisendienst (vgl. https://www.krisendienste.bayern) in Trägerschaft des jeweiligen Bezirks zur Verfügung. 8Die Krisendienste Bayern (Art. 1 des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes – BayPsychKHG) sind ein psychosoziales Beratungs- und Hilfeangebot, das allen Menschen in psychischen Krisen sowie deren Angehörigen und Mitbetroffenen in Bayern offensteht, Hilfe und Orientierung bietet und über aktuelles Wissen zu wohnortnahen Unterstützungsangeboten verfügt. 9Die Krisendienste ergänzen das bestehende Versorgungssystem und übernehmen in diesem Zusammenhang zudem eine Lotsen- und Steuerungsfunktion. 10Über die einheitliche und kostenlose Rufnummer 0800 / 655 3000 ist der Krisendienst täglich rund um die Uhr bayernweit erreichbar. 11Bei Bedarf werden die Fachkräfte des Krisendienstes auch aufsuchend tätig.

12Bei Fragen zum Thema „Sucht“ kann sich an die psychosozialen Suchtberatungsstellen (PSBen) in Trägerschaft der Verbände der freien Wohlfahrtspflege gewandt werden (vgl. https://www.kbs-bayern.de/einrichtungen/suchtberatung). 13Diese bieten unabhängig von der Art des Suchtproblems (zum Beispiel Alkohol, illegale Drogen, Medikamente, Glücksspiel, Medien- und Internetnutzung) suchtgefährdeten beziehungsweise suchterkrankten Menschen und deren Angehörigen Hilfe und Unterstützung. 14In den meisten Fällen erfolgen hier die ersten Kontakte mit den Betroffenen; Weichenstellungen zu stationären oder ambulanten Therapien können ermöglicht, gegebenenfalls eine Entgiftungsbehandlung vermittelt und Nachsorge zur Vermeidung von Rückfällen geleistet werden. 15Die PSBen bieten auch Hilfestellung bei der Klärung der Kostenübernahme für die Behandlung und Rehabilitation an.

16Beratungen können direkt vor Ort oder online über die trägerübergreifende und bundesweit einheitliche Beratungsplattform „DigiSucht“ (vgl. https://www.suchtberatung.digital) erfolgen. 17Auch kombinierte Beratungskonzepte aus digitaler und analoger Beratung vor Ort sind möglich. 18Mit „DigiSucht“ wurde ein besonders niedrigschwelliger, sowie zeit- und ortsungebundener Zugang zum Hilfs- und Unterstützungsangebot der PSBen geschaffen. 19Ergänzend bietet die Koordinierungsstelle der Bayerischen Suchthilfe (KBS) einen Überblick über niedrigschwellige Angebote (vgl. https://www.kbs-bayern.de/einrichtungen/niedrigschwellige-hilfen).

20Eine weitere Anlaufstelle besteht in dem Angebot der Selbsthilfe in Bayern (vgl. https://www.seko-bayern.de).

3.7Wohngeld

1Wohngeld kann zur Vermeidung und Beseitigung von Obdach- und Wohnungslosigkeit beitragen. 2Die Gewährung von Wohngeld richtet sich nach dem Wohngeldgesetz (WoGG), der Wohngeldverordnung (WoGV) und der Wohngeld-Verwaltungsvorschrift (WoGVwV). 3Mit Wohngeld leistet der Staat eine finanzielle Hilfe zu den Wohnkosten. 4Es wird als Zuschuss zur Miete (für Mieterinnen und Mieter) oder als Lastenzuschuss (für selbstnutzende Eigentümerinnen und Eigentümer) geleistet.

5Wohngeld kann auch Personen gewährt werden, die durch die Sicherheitsbehörde in Obdachlosenunterkünfte oder in Wohnraum Dritter eingewiesen sind, auch wenn das Nutzungsentgelt an die Sicherheitsbehörde gezahlt wird (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WoGG in Verbindung mit Nr. 3.13 Satz 1 Nr. 5 WoGVwV).

6Voraussetzung ist insbesondere, dass die Räumlichkeiten, für die Wohngeld gewährt werden soll, für eine gewisse Dauer zum Wohnen bestimmt sind und ein eigenes häusliches Wirtschaften möglich ist (vgl. Nr. 2.01 WoGVwV). 7Daher kann beispielsweise für Notunterkünfte kein Wohngeld gewährt werden.

8Wohngeld wird zudem nur an Personen geleistet, die keine Transferleistungen (wie zum Beispiel Bürgergeld, Sozialhilfe) beziehen, da bei Transferleistungen die Unterkunftskosten bereits berücksichtigt werden.

9Weitere Auskünfte erteilen die zuständigen Wohngeldbehörden. 10Das sind die Landratsämter und kreisfreie Gemeinden, in denen der Wohnraum liegt, für den Wohngeld bezogen werden soll.

3.8Bezug von gefördertem Wohnraum

1Ergänzend zu den begleitenden Maßnahmen bei der (vorübergehenden) Obdachlosenunterbringung sollen die zuständigen Stellen auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von gefördertem Wohnraum hinweisen. 2Die Antragsberechtigung setzt insbesondere voraus, dass Wohnungssuchende die nach dem Bayerischen Wohnraumförderungsgesetz (BayWoFG) beziehungsweise nach dem Bayerischen Wohnungsbindungsgesetz (BayWoBindG) maßgeblichen Einkommenshöchstgrenzen einhalten sowie rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, für ihren Haushalt auf längere Dauer einen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu begründen und dabei einen selbstständigen Haushalt zu führen.

3Bei Vorliegen der Voraussetzungen erteilen die zuständigen Stellen, dies sind regelmäßig die Landratsämter und kreisfreien Gemeinden, einen sogenannten Allgemeinen Wohnberechtigungsschein, mit dem bayernweit in Gebieten ohne erhöhten Wohnungsbedarf eine geförderte Wohnung gesucht werden kann. 4Die Entscheidung, an wen die geförderte Wohnung vermietet wird, trifft aber die Vermieterin beziehungsweise der Vermieter.

5In sogenannten Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf kommt das Benennungsverfahren zur Anwendung; die Antragsberechtigung für eine Benennung ist grundsätzlich an dieselben Voraussetzungen geknüpft wie beim Wohnberechtigungsschein. 6Das Benennungsverfahren soll sicherstellen, dass einkommensschwächere Personen oder Personen mit besonderen persönlichen Umständen eine Wohnung vermittelt bekommen. 7Danach darf die Vermieterin beziehungsweise der Vermieter die Wohnung nur an von der zuständigen Stelle benannte Wohnungssuchende überlassen; Grundlage für die Überlassung der Wohnung ist hier also nicht die Vorlage eines Wohnberechtigungsscheins. 8Die zuständige Stelle hat die Wohnungssuchenden unter Berücksichtigung des sozialen Gewichts des Wohnungsbedarfs und der Bewohnerstrukturen sowie ergänzend nach der bisherigen Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts zu benennen. 9Die zuständige Stelle trifft somit eine Vorauswahl. 10Dabei soll sie auch berücksichtigen, ob Wohnungssuchende in der Lage und bereit sind, ihre mietvertraglichen Pflichten zu erfüllen, insbesondere – sofern die Zahlung der Miete nicht auf andere Weise gewährleistet ist (wie zum Beispiel Unterkunftsleistungen nach SGB II und XII, vgl. Nr. 3.5) – die zulässige Miete zu zahlen. 11Die letztendliche Entscheidung, an wen die geförderte Wohnung vermietet wird, treffen aber weiterhin die Vermietenden. 12Welche Gebiete in Bayern sogenannte Gebiete mit erhöhtem Wohnungsbedarf sind, ergibt sich aus der Anlage zu § 3 Abs. 1 der Durchführungsverordnung Wohnungsrecht (DVWoR).

3.9Gesundheitshilfe und Kranken-/Pflegeversicherung

1Obdach- und wohnungslose Personen bedürfen gesundheitlicher Hilfe in besonderem Maße, da infolge der Lebensumstände die Gefahr des Auftretens psychischer und körperlicher Krankheiten größer ist.

2Die Krankenkassen sind zur Beratung über Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch und zur Auskunft über alle Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch verpflichtet (§§ 14, 15 SGB I).

3Erwerbsfähige Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld werden grundsätzlich in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pflichtversichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V). 4Sie erhalten eine Krankenversichertenkarte und Leistungen von der GKV. 5Die Beiträge werden von der Bundesagentur für Arbeit beziehungsweise von dem zugelassenen kommunalen Träger gezahlt (§ 252 Abs. 1 Satz 2 SGB V) und vom Bund getragen (§ 251 Abs. 4 Satz 1 SGB V). 6Für nicht erwerbsfähige Familienangehörige besteht in der Regel eine beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V). 7Greift diese nicht, können nicht erwerbsfähige Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld vom zuständigen Träger der Grundsicherung einen Zuschuss zu ihren Krankenversicherungsbeiträgen erhalten (§ 26 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II).

8Nicht in der GKV pflichtversichert werden jedoch erwerbsfähige Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld, wenn sie zuletzt privat krankenversichert waren oder keinen Versicherungsschutz hatten und dem Kreis der selbständigen oder versicherungsfreien Personen angehörten (§ 5 Abs. 5a SGB V). 9Versicherungsfrei sind zudem Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig werden, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert waren und mindestens die Hälfte dieser Zeit nicht zum schutzbedürftigen Personenkreis der gesetzlichen Krankenversicherung gehört haben (§ 6 Abs. 3a SGB V). 10Privat Versicherte mit einem Versicherungsvertrag, der der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes genügt, erhalten auf Antrag einen Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag (§ 26 Abs. 1 Satz 1 SGB II).

11Versicherungspflichtige Mitglieder der GKV sind in der sozialen Pflegeversicherung ebenfalls pflichtversichert, das gilt insofern auch für erwerbsfähige Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a des Elften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XI). 12Die Beiträge werden ebenfalls von der Bundesagentur für Arbeit beziehungsweise von dem zugelassenen kommunalen Träger gezahlt (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI in Verbindung mit § 252 Abs. 1 Satz 2 SGB V) und vom Bund getragen (§ 59 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in Verbindung mit § 251 SGB V). 13Ein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung kann allerdings nur bei Vorliegen der zweijährigen Vorversicherungszeit nach § 33 Abs. 2 SGB XI entstehen). 14Sofern keine Mitgliedschaft in einer Pflegeversicherung besteht oder die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung den Pflegebedarf nicht vollständig decken, kann bei Vorliegen von Bedürftigkeit ein Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII bestehen.

15Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem SGB XII können gesetzlich krankenversichert sein (zum Beispiel über die Krankenversicherung der Rentner). 16Bei fehlender Krankenversicherung gibt es darüber hinaus die „unechte“ Krankenversicherung (sogenannte Statusversicherung) bei einer gesetzlichen Krankenkasse. 17Die gewählte Krankenkasse übernimmt die Krankenbehandlung der SGB XII-Leistungsberechtigten nach § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V und erwirbt einen Erstattungsanspruch für die gewährten Leistungen und entstehenden Verwaltungskosten gegen den Sozialhilfeträger (§ 48 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V). 18Die Leistungsberechtigten erhalten dadurch eine verfahrens- und leistungsrechtliche Gleichstellung mit den gesetzlich Krankenversicherten, ohne volle Mitgliedschaftsrechte in einer Krankenkasse zu erwerben.

19Sofern die Voraussetzungen des § 48 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit § 264 Abs. 2 SGB V nicht vorliegen, erhalten die Betroffenen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nach den §§ 47 ff. SGB XII Hilfen zur Gesundheit nach § 48 Satz 1 SGB XII im Umfang von §§ 47 bis 51 SGB XII. 20Der Sozialhilfeträger hat die Leistungen für die Leistungsberechtigten, die nicht zum Kreis der Berechtigten des § 48 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V gehören, als Sachleistungen durch Einschaltung Dritter, deren Kosten von ihm übernommen werden, zu gewähren (Ausnahmefall). 21Leistungsausschlüsse, insbesondere gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII, sind zu beachten.

3.10Kinder- und Jugendhilfe

1Die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe werden von den Kommunen (Jugendämter der Landkreise und kreisfreien Städte) im eigenen Wirkungskreis in enger Zusammenarbeit mit anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe wahrgenommen.

2Eltern beziehungsweise Personensorgeberechtigte mit ihren Kindern in Notunterkünften bedürfen der besonderen Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Probleme durch gezielte Hilfe, insbesondere Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern und Resilienzförderung der Kinder und Jugendlichen. 3Dabei ist die individuelle Situation zu berücksichtigen; sie kann einen längeren intensiven Kontakt oder Jugendhilfeleistungen erforderlich machen.

4In Gebieten, in denen eine Vielzahl Obdachloser untergebracht ist, sollte im Rahmen der kommunalen Sozial- und Jugendhilfeplanung besonders darauf geachtet werden, dass ausreichende Angebote geschaffen und vorgehalten werden, die den Bedürfnissen von betroffenen Eltern, Kindern und Jugendlichen und – in Einzelfällen – jungen Volljährigen gerecht werden. 5Es ist vorrangig auf die Inanspruchnahme der bestehenden allgemeinen örtlichen Hilfesysteme, Dienste und Einrichtungen hinzuwirken. 6Auch für junge Volljährige, die obdach- beziehungsweise wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, kommen gegebenenfalls bis zum 21. Lebensjahr, in begründeten Ausnahmefällen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Betracht (§ 41 SGB VIII; Unterbringung ist aber nur dann Bestandteil der Jugendhilfeleistung, sofern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen durch das Jugendamt eine vollstationäre Leistung erbracht wird).

7Schwangere und Familien in Notunterkünften sollen regelmäßig auf die besonderen Hilfen, vor allem auf die Beihilfen der „Landesstiftung Hilfe für Mutter und Kind", auf das Bundeselterngeld, das Bayerische Familiengeld und auf die Möglichkeit der Unterbringung in gemeinsamen Wohnformen für Mutter und Kind (§ 19 SGB VIII) hingewiesen werden.

4.Unterbringung nach dem allgemeinen Sicherheitsrecht

4.1Abgrenzung des Sicherheitsrechts zu sozialen Hilfemaßnamen und sonstigen Maßnahmen

1Der Zustand der (drohenden) Obdachlosigkeit kann grundsätzlich eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellen, der die Gemeinden dann nach dem Sicherheitsrecht zur Gefahrenabwehr regelmäßig begegnen müssen (Art. 6 und 7 Abs. 2 Nr. 3 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes – LStVG).

2Das Sicherheits- und Polizeirecht greift jedoch in der Regel erst dann, wenn die sozialrechtlichen Mittel nicht ausreichen, um eine tatsächliche Obdachlosigkeit zu verhindern, und eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegt. 3Es ist grundsätzlich die Aufgabe des Sozialleistungsrechts dafür zu sorgen, dass eine unfreiwillige Obdachlosigkeit als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht eintritt.

4Auch sieht das Sicherheits- und Polizeirecht keine sozialen Hilfen vor, um Betroffene bei der Überwindung der Wohnungslosigkeit oder anderen sozialen Schwierigkeiten zu unterstützen. 5Solche sozialen Unterstützungsleistungen oder Beratungsstrukturen sind vielmehr in der Wohnungslosenhilfe über Sozialwohnungen und Sozialleistungen zu suchen. 6Die sicherheitsrechtliche Notunterbringung ist weder auf Dauer angelegt, noch wird hierdurch die Wohnungslosigkeit beendet. 7Es wird allein die als Folge der Obdachlosigkeit eingetretene Gefährdung von Leben und Gesundheit abgewehrt, die Unterbringung dient aber nicht der wohnungsmäßigen Versorgung. 8Die Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft darf daher weder von der Verwaltung noch von den Betroffenen selbst als Dauerlösung betrachtet werden.

9Die Übernahme der Kosten für eine dauerhafte Unterkunft (Normalwohnung) und Heizung ist Aufgabe der Jobcenter und Träger der Sozialhilfe, soweit sich eine hilfebedürftige Person nicht selbst helfen kann und sie eine entsprechende Unterstützung nicht von anderen erhält. 10Darüber hinaus ist als individualrechtlicher Anspruch im Einzelfall die Unterstützung bei der Erhaltung und Beschaffung einer Unterkunft auf Dauer Aufgabe der zuständigen Träger der Sozialhilfe.

11Direkt an die Unterbringung in einer Notunterkunft anschließen beziehungsweise damit einhergehen sollte daher die Beratung und Betreuung der betreffenden Personen durch den Sozialleistungsträger (§ 14 SGB I, § 14 Abs. 2 SGB II, § 106 SGB IX, § 67 ff. SGB XII) – soweit möglich und zielführend auch in der vorübergehenden Unterkunft – mit dem Ziel, dass die betreffenden Personen in eine normale Wohnung zurückkehren beziehungsweise unabhängig von staatlichen Leistungen leben können. 12Dabei ist insbesondere auf einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu den Angeboten zu achten, zum Beispiel durch aufsuchende Hilfe vor Ort in den Unterkünften. 13Das Bereitstellen von Beratungs- und Unterstützungsleistungen durch die Sozialleistungsträger und Verbände der Wohlfahrtspflege, um notwendige ergänzende soziale Leistungen zu erschließen und auf eine Vermittlung in regulären Wohnraum hinzuwirken, ist auch deshalb empfehlenswert, da längere Aufenthalte in Notunterkünften zu vermehrten psychosozialen Problemen der obdachlosen Personen führen und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft weiter erschweren können.

14Letztlich stellt die sicherheitsrechtliche Notunterbringung nur einen Notbehelf für einen Übergangszeitraum im Rahmen der Gefahrenabwehr dar, die Bewältigung spezieller Unterbringungs- und Betreuungsleistungen fällt dabei jedoch nicht in den Aufgabenbereich der Sicherheitsbehörde (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. März 2018, Az. 9 E 129/18). 15In Fällen von Selbst- oder Fremdgefährdung durch eine psychische Erkrankung kann – wenn andere, weniger einschneidende Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten, wie insbesondere auch der Krisendienste Bayern und/oder die Hinzuziehung des gesetzlichen Vertreters, nicht ausreichen, um die Betroffenen und die Allgemeinheit vor Schaden zu bewahren – eine öffentlich-rechtliche Unterbringung nach dem BayPsychKHG in Betracht kommen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27. Dezember 2017, Az. 4 CS 17.1450, und Beschluss vom 9. Januar 2017, Az. 4 C 16.2565). 16Insbesondere stellt eine einfache Obdachlosenunterkunft keinen Ersatz für eine Einrichtung mit speziellem Betreuungs- und Sicherungsbedarf dar (vgl. BayVGH, Beschluss vom 6. August 2015, Az. 4 C 15.1578).

17Themenkomplexe über das Bereitstellen einer im Einzelfall angemessenen Notunterkunft hinaus sind demnach nicht von der Sicherheitsbehörde, sondern von den jeweils zuständigen Leistungsträgern zu bewältigen.

4.2Allgemeines; Eröffnung des Aufgabenfeldes der Sicherheitsbehörden, Zuständigkeit (örtlicher Bezug)

1Die Sicherheitsbehörden sind in Fällen plötzlich auftretender (unfreiwilliger) Obdachlosigkeit (zum Beispiel Verlust der Wohnung) in der Regel verpflichtet, die Obdachlosigkeit bei Vorliegen einer konkreten Gefahr als Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen. 2Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG können die Gemeinden als Sicherheitsbehörden für den Einzelfall Anordnungen treffen, um Gefahren abzuwehren und Störungen zu verhindern beziehungsweise zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen. 3Dazu gehört, Obdachlosen eine vorübergehende Unterkunft einfacher Art zur Verfügung zu stellen, um eine konkrete Gefahr für deren Leben und Gesundheit bei fehlender Unterbringung beispielsweise infolge der Witterung abzuwenden. 4Demnach kann sich eine Pflicht der Sicherheitsbehörden zur Beseitigung der Obdachlosigkeit bei einer akuten Krisenintervention (zum Beispiel plötzlicher Kälteeinbruch) auch in Fällen schon länger bestehender Obdachlosigkeit ergeben, wenn die Abwehr einer Gefahr für Leben und Gesundheit der obdachlosen Person zu besorgen ist. 5Die Verpflichtung zur Unterbringung von Obdachlosen gehört zu der von der Gemeinde im eigenen Wirkungskreis zu vollziehenden Pflichtaufgabe, die öffentliche Sicherheit und Ordnung im örtlichen Bereich aufrechtzuerhalten.

6Für die Unterbringung Obdachloser ist diejenige Gemeinde zuständig, in der die Betroffenen aktuell obdachlos sind. 7Maßgeblich ist daher weder die melderechtliche Situation noch der bisherige gewöhnliche Aufenthaltsort, sondern der Ort, an dem sich die Betroffenen gerade aufhalten und an dem die mit der Obdachlosigkeit verbundene Gefahr für Leben und Gesundheit daher aktuell auftritt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 14. August 2019, Az. 4 CE 19.1546). 8Die Gemeinde kann sich dieser Zuständigkeit nicht dadurch entziehen, dass sie die Obdachlosen an eine andere Gemeinde verweist.

9Die Gemeinden erfüllen diese Aufgabe unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Gründe der Obdachlosigkeit, der Größe der Familie, der Zahl der Kinder usw.; die übrigen zu beteiligenden Stellen (Jobcenter, Sozialhilfe sowie Freie Wohlfahrt, wenn eine Einrichtung existiert) sollen hinzugezogen oder unverzüglich über die ergriffenen Maßnahmen unterrichtet werden, wenn ihre vorherige Beteiligung nicht möglich war.

10Liegt ein vollstreckbarer Räumungstitel vor und ist zu erwarten, dass Personen durch die Vollstreckung des Titels obdachlos werden, benachrichtigt der Gerichtsvollzieher unverzüglich die für die Unterbringung von Obdachlosen zuständige Verwaltungsbehörde – die Sicherheitsbehörde der Stadt oder Gemeinde (§ 130 Abs. 3 Satz 1 der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher – GVGA).

4.2.1Freiwillige Obdachlosigkeit

1Ein Tätigwerden der Sicherheitsbehörde zur Gefahrenabwehr ist grundsätzlich lediglich in Fällen der unfreiwilligen Obdachlosigkeit geboten. 2Maßgeblich sind hierfür die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. 3Beruht die Obdachlosigkeit auf einer selbstverantwortlichen, rechtlich anzuerkennenden freien Willensentscheidung, fehlt es an einer relevanten Gefahrenlage im sicherheitsrechtlichen Sinne.

4.2.2Subsidiaritätsgrundsatz – Vorrang der Selbsthilfe

1Ein Tätigwerden der Sicherheitsbehörde zur Gefahrenabwehr ist nur dann erforderlich, wenn eine betroffene Person die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften insbesondere unter dem Einsatz eigener Sach- oder Finanzmittel oder durch die Inanspruchnahme anderweitiger Hilfsangebote insbesondere der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise beheben kann (vgl. ständige Rechtsprechung BayVGH, Beschluss vom 7. Mai 2018, Az. 4 CE 18.965, Beschluss vom 23. Januar 2008, Az. 4 CE 07.2893, Beschluss vom 21. September 2006, Az. 4 CE 06.2465, und Beschluss vom 10. März 2005, Az. 4 CS 05.219).

2Dies ist etwa der Fall, wenn die Person die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit – gegebenenfalls sogar auch in weiterer Entfernung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 23. Januar 2008, Az. 4 CE 07.2893, zu einer circa 350 km entfernten Eigentumswohnung) – hat, sich in einer anderen adäquaten – das heißt den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung entsprechenden – Unterkunft aufzuhalten oder sich eine solche beispielsweise aufgrund regelmäßiger Einkünfte zu beschaffen. 3Bei der Unterkunft muss es sich auch nicht notwendigerweise um eine Wohnung handeln. 4Dementsprechend liegt auch für die Dauer eines stationären Krankenhausaufenthalts oder einer Inhaftierung keine Obdachlosigkeit im rechtlichen Sinn vor (vgl. BayVGH, Beschluss vom 26. August 1993, Az. 21 CE 93.2605).

5Letztlich entfällt der Anspruch auf eine sicherheitsrechtliche Unterbringung zur Beseitigung unfreiwillig eingetretener oder fortdauernder Obdachlosigkeit, wenn von einer tatsächlich bestehenden Option der Unterbringung beziehungsweise der Beschaffung einer Unterkunft ohne sachlich nachvollziehbaren Grund kein Gebrauch gemacht wurde (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. Mai 2018, Az. 4 CE 18.965, und Beschluss vom 27. Oktober 2017, Az. 4 CE 17.1661).

4.3Art der Unterbringung

1Den Gemeinden stehen je nach Verfügbarkeit und eigenem Ermessen verschiedene Möglichkeiten offen: Unterbringung in eigenen oder angemieteten Immobilien beziehungsweise Räumlichkeiten oder, falls dies nicht möglich ist, unter bestimmten (sehr engen) Voraussetzungen die Beschlagnahme von Unterkünften beziehungsweise Wohnraum Dritter. 2Unter den mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen ist diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen (Art. 8 Abs. 1 LStVG).

3Die obdachlose Person hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte oder gewünschte Unterkunft.

4.3.1Gemeindeeigene oder angemietete Unterkünfte

1In erster Linie sollen Obdachlose in gemeindeeigenen oder der Gemeinde zur Verfügung stehenden Unterkünften (angemietete Wohnungen, Pensionen oder Gasthöfe) untergebracht werden. 2Die Unterbringung auf dem Gebiet einer anderen Gemeinde ist nur mit deren Zustimmung zulässig. 3Die Gemeinden können sich zur Erfüllung der Aufgabe Obdachlosenunterbringung der Möglichkeiten der kommunalen Zusammenarbeit bedienen (Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit – KommZG). 4Durch eine Zweckvereinbarung kann geregelt werden, dass eine öffentliche Einrichtung der Obdachlosenunterbringung einer Gemeinde auch für Obdachlose, die in die Zuständigkeit einer anderen Gemeinde fallen, genutzt werden kann oder die Einrichtung von mehreren Gemeinden gemeinsam betrieben wird (Mitbenutzungsvereinbarung gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 KommZG oder Gemeinschaftsvereinbarung gemäß Art. 7 Abs. 3 KommZG).

5Die Räume werden den Obdachlosen grundsätzlich durch öffentlich-rechtliches Handeln in Form eines sie begünstigenden Verwaltungsakts (ohne Begründung eines privatrechtlichen Mietverhältnisses samt mietvertraglicher Vorschriften) zugewiesen, könnten aber auch ausdrücklich durch privatrechtliche Vereinbarung (Mietvertrag) überlassen werden. 6Dabei sind die zugewiesenen Räume genau zu bezeichnen.

7Bei gemeindlichen Obdachlosenunterkünften handelt es sich um öffentliche Einrichtungen der Gemeinde. 8Gemäß Art. 23, 24 Abs. 1 Nr. 1 der Gemeindeordnung (GO) kann die Gemeinde die Nutzung der Unterkünfte durch Satzung regeln und in diesem Fall gemäß Art. 2 und 8 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) eine Gebührensatzung hierfür erlassen. 9Das Benutzungsverhältnis kann aber auch privatrechtlich ausgestaltet sein. 10Für eine Gemeinde ist es jedoch regelmäßig einfacher und kostengünstiger, Ansprüche auf Benutzungsgebühren durchzusetzen als vertraglich vereinbarte Nutzungsentgelte. 11Im Übrigen kann die Gemeinde bestimmte Einzelregelungen (zum Bespiel zur Untersagung der Haustierhaltung) bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch im Rahmen der sicherheitsrechtlichen Anordnung nach Art. 7 Abs. 2 LStVG treffen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. Juni 2005, Az. 4 C 05.1345).

4.3.2Anforderungen an die Unterkunft

1Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Unterbringung dient nicht der wohnungsmäßigen Versorgung, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. 2Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es ausreichend, dass die Unterkunft vorübergehenden Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. 3Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird (vgl. zum Ganzen BayVGH, Beschluss vom 19. Februar 2010, Az. 4 C 09.3073).

4In vorübergehenden Unterkünften (Notunterkünften, Sammelunterkünften) darf eine obdachlose Person daher nur untergebracht werden, wenn diese den Mindestanforderungen einer menschenwürdigen Unterbringung entsprechen.

5Die Notunterkunft gewährleistet ein vorübergehendes Unterkommen einfacher Art; sie bietet Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse; die an eine Normalwohnung zu stellenden Anforderungen bezüglich Lage, Größe, Einrichtung und sonstiger Verhältnisse brauchen nicht erfüllt zu sein. 6Es besteht weder ein Anspruch auf Räume bestimmter Art, Lage oder Größe oder für eine bestimmte Zeitdauer noch ein Anspruch auf Raum für berufliche Arbeit, sonstige Beschäftigung oder zur Unterbringung von Haustieren; nach Möglichkeit soll alles zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der beziehungsweise des Obdachlosen getan werden.

7Im Allgemeinen sind jedenfalls eine Wasserversorgung, eine Stromversorgung, eine Heizung (zumindest im Winter), Sanitäreinrichtungen wie eine Toilette und eine Waschmöglichkeit (auch in Gemeinschaftsnutzung) und eine Schlafgelegenheit notwendig. 8Dabei besteht grundsätzlich weder ein Anspruch auf ein eigenes Bad oder eine Dusche noch auf eine Unterbringung in einem Einzelzimmer, soweit nicht im Einzelfall besondere persönliche Umstände einen entsprechenden Zusatzbedarf für eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung zwingend erfordern (vgl. BayVGH, Beschluss vom 20. Juli 2021, Az. 4 CE 21.1374, Beschluss vom 12. April 2021, Az. 4 CE 21.897, Beschluss vom 18. Februar 2019, Az. 4 CE 19.238, und Beschluss vom 30. Oktober 2006, Az. 4 CE 06.2597). 9Auch ist neben einer notdürftigen Möblierung die Bereitstellung von funktional höherwertigen Einrichtungsgegenständen grundsätzlich nicht erforderlich. 10Leistungen für derartigen Hausrat können gegebenenfalls durch die Inanspruchnahme von Sozialhilfe erlangt werden, sofern ein entsprechender Anspruch beispielsweise auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 und 27a SGB XII besteht.

11Erhöhte Anforderungen aufgrund besonderer persönlicher Umstände können im Einzelfall beispielsweise in einem krankheitsbedingten sanitären Zusatzbedarf (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18. Februar 2019, Az. 4 CE 19.238, zum Erfordernis einer eigenen Nasszelle im besonderen Einzelfall), einer Erreichbarkeit beziehungsweise Benutzbarkeit von Toiletten auch für Menschen mit Behinderungen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. März 2018, Az. 9 E 129/18) oder unter Berücksichtigung des durch Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungsrechtlich garantierten Schutzes von Ehe und Familie regelmäßig einer gemeinsamen Unterbringung von Eheleuten und Familien mit minderjährigen Kindern (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. Mai 2018, Az. 4 CE 18.965) zu sehen sein. 12Die Bewältigung von speziellen Unterbringungs- und Sorgeerfordernissen, die über eine auch im konkreten Einzelfall den Mindestanforderungen einer menschenwürdigen, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtenden Unterbringung genügenden Unterkunft hinausgehen, ist aber keine Angelegenheit der Obdachlosenunterbringung nach allgemeinem Sicherheitsrecht (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. März 2018, Az. 9 E 129/18).

13Im Übrigen steht es den Gemeinden bei der Ausgestaltung ihrer Notunterkünfte unter Beachtung der allgemeinen Haushaltsgrundsätze (insbesondere auch ihrer Leistungsfähigkeit) frei, auch höhere, sozial wünschenswerte Unterkunftsstandards freiwillig umzusetzen. 14Eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch nach dem allgemeinen Sicherheitsrecht nicht.

15Es dürfen keine Gesundheitsgefahren entstehen. 16Die Gesundheitsämter wirken als fachkundige Stellen mit bei der Erfüllung der sonstigen Aufgaben der Kreisverwaltungsbehörden, insbesondere bei gesundheitsrelevanten Fragen im Rahmen der Hilfe für Personen in besonderen Lebenslagen (Art. 7 Abs. 3 Nr. 2 des Gesundheitsdienstgesetzes – GDG). 17Außerdem beraten sie über Gesunderhaltung und Krankheitsverhütung (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 GDG). 18Einrichtungen wie Obdachlosenunterkünfte (zur gemeinschaftlichen Unterbringung), müssen gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene festlegen und unterliegen der infektionshygienischen Überwachung durch die Gesundheitsämter. 19Auch in hygienischer Hinsicht erfolgt eine Überwachung (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GDG).

20Treten in einer solchen Einrichtung übertragbare Krankheiten nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5 IfSG auf, sind (neben dem feststellenden ärztlichen Personal) auch die Leitungen von Obdachlosenunterkünften (zur gemeinschaftlichen Unterbringung) verpflichtet, das örtlich zuständige Gesundheitsamt unverzüglich, spätestens innerhalb von 24 Stunden nach Kenntniserlangung, zu benachrichtigen (§ 8 Abs. 1 Nr. 7, § 9 Abs. 3 Satz 1 IfSG). 21Die Meldepflicht besteht nicht, wenn den verantwortlichen Personen ein Nachweis vorliegt, dass die Meldung bereits erfolgt ist und andere als die bereits gemeldeten Angaben nicht erhoben wurden (§ 8 Abs. 3 Satz 1 IfSG). 22Eine Meldepflicht besteht ferner nicht für Erkrankungen, bei denen der Verdacht bereits gemeldet worden ist und andere als die bereits gemeldeten Angaben nicht erhoben wurden (§ 8 Abs. 3 Satz 2 IfSG). 23Es wird empfohlen, Schutzmaterialien und Pandemiepläne in den Einrichtungen vorzuhalten.

24Die obdachlose Person muss vor oder unverzüglich nach ihrer Aufnahme in eine Obdachlosenunterkunft (zur gemeinschaftlichen Unterbringung) im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 IfSG der Leitung der Einrichtung ein ärztliches Zeugnis darüber vorlegen, dass bei ihr keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose vorhanden sind. 25Bei der erstmaligen Aufnahme darf die Erhebung der Befunde, die dem ärztlichen Zeugnis zugrunde liegt, nicht länger als sechs Monate zurückliegen; bei einer erneuten Aufnahme darf sie nicht länger als zwölf Monate zurückliegen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 und 2 IfSG). 26Diese Verpflichtung gilt nicht für obdachlose Personen, die weniger als drei Tage in eine Obdachlosenunterkunft aufgenommen werden (§ 36 Abs. 4 Satz 6 IfSG).

4.3.3Beschlagnahme privater Unterkünfte

1Sind die Möglichkeiten zur Unterbringung in gemeindeeigenen oder der Gemeinde etwa durch Anmietung zur Verfügung stehenden Unterkünften erschöpft, ist mithin die Abhilfe durch die Gemeinde auf andere Weise nicht möglich, kann als letztes Mittel („ultima ratio“) in Fällen schwerster Notlagen auch die Beschlagnahme von Räumen Dritter aufgrund von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 9 Abs. 3 LStVG erfolgen. 2Unter Einhaltung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit (Art. 8 LStVG) und der Zumutbarkeit kommt eine Beschlagnahme von Räumen in der Regel nur in Betracht, soweit die bisherige Nutzung durch die Eigentümerin beziehungsweise den Eigentümer nicht entgegensteht. 3Da hierbei das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG, Art. 106 Abs. 3 der Verfassung) nicht eingeschränkt werden darf (Art. 7 Abs. 4 LStVG), kommt allein die Beschlagnahme von leerstehenden – eventuell auch von der unterzubringenden Person bislang selbst gemieteten – Räumen infrage.

4Die Anordnung der Beschlagnahme ist ein Verwaltungsakt; sie ist zu begründen, hat die beschlagnahmten Räume genau zu bezeichnen, den erforderlichen Zeitraum zu beschreiben und ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen der oder dem in Anspruch Genommenen zuzustellen. 5In der Begründung ist insbesondere darzulegen, dass andere Unterbringungsmöglichkeiten nicht bestehen; ein nur pauschaler Hinweis genügt nicht. 6Auch die Interessen der in Anspruch genommenen Eigentümer sind zu würdigen; die Beschlagnahme darf für diese nicht unzumutbar sein. 7Es empfiehlt sich in aller Regel, die sofortige Vollziehung der Beschlagnahme nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuordnen. 8Auf § 80 Abs. 3 VwGO wird hingewiesen.

9Die Beschlagnahme soll, wo es in sinnvoller Weise möglich ist, auf Teile einer Wohnung beschränkt werden; das gilt immer, wenn einzelne Räume der Wohnung für sich vermietet werden können. 10Die Beschlagnahme ist auch in zeitlicher Hinsicht auf das unabweisbar Notwendige zu befristen, mithin einen eng begrenzten Zeitraum von etwa bis zu zwei Monaten.

11Die zuständigen Stellen, insbesondere die Gemeinden, haben sich vom Tag der Beschlagnahme an mit Nachdruck um eine anderweitige Unterbringung zu bemühen. 12Wird eine anderweitige Unterbringung möglich, ist die Beschlagnahme aufzuheben. 13Die untergebrachte Person ist aufzufordern, sich auch selbst um eine neue Unterkunft zu bemühen und hierüber Nachweise vorzulegen.

14Mit der Beschlagnahme hat die Behörde der oder dem in Anspruch Genommenen gegenüber zu erklären, dass sie die Kosten der Beschlagnahme tragen wird. 15Durch die Beschlagnahme entsteht ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen der Gemeinde und der oder dem in Anspruch Genommenen. 16Der oder dem in Anspruch Genommenen ist eine Entschädigung, in der Regel in Höhe der bisher entrichteten Miete, ansonsten der angemessenen Miete, bei öffentlich geförderten Wohnungen höchstens in Höhe der preisrechtlich zulässigen (Kosten- oder Vergleichs-)Miete zu zahlen (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 1 LStVG in Verbindung mit Art. 87 des Polizeiaufgabengesetzes). 17Darüber hinaus kann die Gemeinde bei schuldhaft rechtswidrigem Verhalten aus einem Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG haften.

18Die Behörde hat bei der Einweisung einer oder eines Obdachlosen in private Unterkünfte den Zustand der Wohnung festzuhalten. 19Auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. November 1995 – III ZR 226/94, abgedruckt in MDR 1996, S. 262, wird hingewiesen.

20Die Beschlagnahme einer Wohnung ist aufzuheben, wenn die beziehungsweise der in Anspruch Genommene und die eingewiesene Partei einen Mietvertrag schließen.

21Bei Ablauf der in der Beschlagnahmeverfügung genannten Frist oder bei Aufhebung der Beschlagnahmeverfügung hat die Behörde die beanspruchte Wohnung zu räumen. 22Erfolgt die Räumung nicht freiwillig, ist sie gegenüber der beziehungsweise dem Obdachlosen, der beziehungsweise dem die Wohnung zugewiesen wurde, im Rahmen der Folgenbeseitigung (entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO) durch Bescheid anzuordnen, der regelmäßig wegen des überwiegenden Interesses der beziehungsweise des in Anspruch Genommenen gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar zu erklären ist und nötigenfalls nach den Vorschriften des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes zu vollstrecken ist.

4.4Kostentragung für die Unterbringung

1Die Aufgabe der Gemeinde als Sicherheitsbehörde erschöpft sich in der tatsächlichen Unterbringung der Obdachlosen. 2Die Gemeinde als Sicherheitsbehörde braucht insoweit die Kosten für Unterkunft und Verpflegung nicht endgültig zu tragen.

3Für die Benutzung gemeindlicher Obdachlosenunterkünfte kann die Gemeinde von den Obdachlosen bei Regelung des Benutzungsverhältnisses durch Satzung (Art. 23, 24 Abs. 1 Nr. 1 GO) eine Gebühr nach einer Gebührensatzung (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 KAG) oder bei privatrechtlicher Ausgestaltung ein Entgelt entsprechend einer vertraglichen Vereinbarung fordern. 4Die Benutzer und Benutzerinnen kommunaler Obdachlosenunterkünfte können jedoch, wenn ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis vorliegt, wegen der in der zugewiesenen Wohnung anfallenden verbrauchsabhängigen Kosten (zum Beispiel für Heizung und Warmwasser) nicht wie bei einer mietvertraglichen Nebenkostenabrechnung unmittelbar zur Erstattung herangezogen werden. 5Zur Erhebung verbrauchsabhängiger Benutzungsgebühren muss auf der Grundlage einer Gebührenkalkulation ein Abgabesatz normativ festgelegt werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 17. August 2011, Az. 4 BV 11.785).

6Werden private Unterkünfte beschlagnahmt, kann die Gemeinde von der obdachlosen Person ebenfalls Erstattung der Aufwendungen verlangen. 7Liegt keine vertragliche Regelung mit der obdachlosen Person vor, kann die Sicherheitsbehörde Kostenerstattung nach dem Verwaltungskostenrecht fordern. 8Die bestandskräftige Einweisungsverfügung stellt eine Amtshandlung der Gemeinde im eigenen Wirkungskreis (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 des Kostengesetzes – KG) dar, für welche die obdachlose Person Kostenschuldner nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 KG ist. 9Die den Wohnungseigentümerinnen beziehungsweise Wohnungseigentümern geschuldete Nutzungsentschädigung kann die Gemeinde daher als Auslage nach Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 KG ersetzt verlangen, wenn diese für eine Unterkunft der zur Verfügung gestellten Art ortsüblich und angemessen ist. 10Voraussetzung ist der fristgerechte Erlass eines entsprechend begründeten Kostenbescheids auf der Rechtsgrundlage einer gemeindlichen Kostensatzung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. November 2016, Az. 4 ZB 15.2809).

11Ein Gebührenanspruch als Aufwendungsersatzanspruch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag entsprechend §§ 677 ff. BGB oder als ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch analog §§ 812 ff. BGB besteht nicht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. November 2016, Az. 4 ZB 15.2809 und Beschluss vom 17. August 2011, Az. 4 BV 11.785).

12Ist die untergebrachte Person hilfeberechtigt nach dem SGB II beziehungsweise SGB XII, können die Kosten der (sicherheitsrechtlichen) Unterbringung als Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigt werden. 13Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Direktzahlung des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehungsweise Sozialhilfeträgers an die Vermieterin beziehungsweise den Vermieter (in diesem Fall die Gemeinde) erfolgen (§ 22 Abs. 7 SGB II, § 35a Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB XII). 14In engen Grenzen kann im Einzelfall gegebenenfalls auch ein Anspruch gemäß § 25 SGB XII in Betracht kommen, wobei eine Erstattung von Aufwendungen nur dann möglich ist, wenn keine eigene Rechtspflicht zur Kostentragung besteht.

5.Inkrafttreten, Außerkrafttreten

1Diese Bekanntmachung tritt am 26. Oktober 2023 in Kraft. 2Mit Ablauf des 25. Oktober 2023 tritt die Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit und des Innern über die Empfehlungen für das Obdachlosenwesen vom 4. Juli 1997 (AllMBl S. 518) außer Kraft.

Bayerisches Staatsministerium
für Familie, Arbeit und Soziales

Dr. Markus Gruber

Ministerialdirektor

Bayerisches Staatsministerium
des Innern, für Sport und Integration

Dr. Erwin Lohner

Ministerialdirektor

Bayerisches Staatsministerium
für Gesundheit und Pflege

Dr. Winfried Brechmann

Ministerialdirektor

Bayerisches Staatsministerium
für Wohnen, Bau und Verkehr

Dr. Thomas Gruber

Ministerialdirektor