Fundstelle GVBl. 2015 S. 376

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Gerichtsentscheidung

2187-4-I, 2187-3-I

Bekanntmachung
der Entscheidung des
Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

vom 25. September 2015 Vf. 9-VII-13; Vf. 4-VII-14; Vf. 10-VII-14


Gemäß Art. 25 Abs. 7 des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof (VfGHG) vom 10. Mai 1990 (GVBl. S. 122, BayRS 1103-1-I), das zuletzt durch § 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 8. April 2013 (GVBl. S. 174) geändert worden ist, wird nachstehend die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 25. September 2015 bekannt gemacht.

Die Entscheidung betrifft die Frage, ob

1.
§ 4 a Abs. 3, § 5 Abs. 3 und 4, §§ 9 a, 10 a Abs. 3 und 5, § 19 Abs. 2, § 26 Abs. 1 und § 27 Abs. 2 Satz 2 des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag – GlüStV) vom 30. Juni 2012 (GVBl. S. 318, 319, BayRS 2187-4-I),

2.
Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (AGGlüStV) vom 20. Dezember 2007 (GVBl. S. 922, BayRS 2187-3-I), zuletzt geändert durch § 1 Nr. 205 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl. S. 286),

3.
die Werberichtlinie vom 17. Januar 2013 (AllMBl. S. 3)

gegen die Bayerische Verfassung verstoßen.


Entscheidungsformel:

1.
Der Zustimmungsbeschluss des Bayerischen Landtags vom 14. Juni 2012 (GVBl. S. 318, BayRS 2187-4-I) zu dem am 15. Dezember 2011 unterzeichneten Ersten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag – Erster GlüÄndStV) ist mit Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV (Rechtsstaatsprinzip) unvereinbar, soweit sich der Beschluss auf § 4 a Abs. 3 Satz 2 sowie auf § 5 Abs. 4 des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag – GlüStV; Art. 1 Erster GlüStÄndV) bezieht.

2.
Art. 8 Nr. 5 Alt. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (AGGlüStV) vom 20. Dezember 2007 (GVBl. S. 922, BayRS 2187-3-I), zuletzt geändert durch § 1 Nr. 205 der Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl. S. 286), ist mit Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV (Rechtsstaatsprinzip) unvereinbar und nichtig.

3.
Im Übrigen werden die Anträge abgewiesen.


Leitsätze:

1.
Rechtsnormen, die von einer Gemeinschaftseinrichtung der Bundesländer erlassen und nicht in bayerisches Landesrecht transformiert worden sind, können nicht mit der Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV angegriffen werden.

2.
Das Demokratieprinzip (Art. 2 BV) verlangt nicht, dass ein Staatsvertrag noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode oder zumindest sogleich nach dem Zusammentritt eines neu gewählten Landtags kündbar sein muss. Enthält der Vertrag eine umfassende Regelung auf einem wichtigen Gebiet der Landesgesetzgebung, ist eine über fünf Jahre hinausreichende Bindung aber nur ausnahmsweise zulässig, z. B. wenn eine aufwendige Organisationsstruktur geschaffen oder ein neues Regelungsmodell erprobt werden soll und dafür eine längere Aufbau-, Versuchs- oder Beobachtungsphase vereinbart wird.

3.
Die bundesstaatliche Kompetenzordnung und das rechtsstaatliche Erfordernis der Zuständigkeits- und Verantwortungsklarheit stehen der staatsvertraglich vereinbarten Übertragung einzelner Länderaufgaben auf eine für alle Bundesländer gemeinschaftlich zuständige Landesbehörde nicht grundsätzlich entgegen.

4.
Der auch bei einer intraföderalen Zuständigkeitskonzentration notwendige demokratische Legitimationszusammenhang bleibt gewahrt, wenn die länderübergreifend tätigen Vollzugsbehörden an die Beschlüsse einer gemeinschaftlichen Aufsichtsinstanz gebunden sind, die ihrerseits aus weisungsunterworfenen Vertretern der Bundesländer besteht.

5.
Dass das einzelne Bundesland gegenüber den (Mehrheits-)Entscheidungen eines intraföderalen Beschlussorgans kein Vetorecht besitzt, ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich hinnehmbar, wenn es nur um den administrativen Vollzug eines staatsvertraglichen Regelwerks geht, bei dem keine Entscheidungen von erheblichem politischen Gewicht zu treffen sind.

6.
Die im Glücksspielstaatsvertrag der Länder vorgesehene Kontingentierung der Konzessionen für Sportwetten und die im bayerischen Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag enthaltene zahlenmäßige Beschränkung der Erlaubnisse für Wettvermittlungsstellen verstoßen nicht gegen die Bayerische Verfassung.

7.
Die Ministerpräsidentenkonferenz und das Glücksspielkollegium der Länder sind intraföderale Organisationseinheiten, für deren „landesrechtsfreies“ gemeinsames Tätigwerden kein einzelnes Bundesland rechtlich einzustehen hat. Rechtsetzungsbefugnisse dürfen solchen Stellen daher nicht übertragen werden.

8.
Die im Glücksspielstaatsvertrag enthaltenen speziellen Werbebeschränkungen für Spielhallen verstoßen weder gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot noch gegen Grundrechte der Bayerischen Verfassung.

München, 30. September 2015

Bayerischer Verfassungsgerichtshof


Peter  K ü s p e r t ,  Präsident